Kultur-Gottesdienst anlässlich der Reichspogromnacht
Erinnerung an „verbrannte Bücher“ und an Erich Kästner
Am 9. November um 18 Uhr findet in der Rottenburger Dreieinigkeitskirche ein besonderer Kultur-und Gedenkgottesdienst statt. Wer kennt sie nicht – die Kinderbuchklassiker von Erich Kästner: „Das doppelte Lottchen“, „Emil und die Detektive“ oder „Das fliegende Klassenzimmer“. Auch „Die Konferenz der Tiere“ sowie „Pünktchen und Anton“ haben Generationen von Kindern von ihren Eltern vorgelesen bekommen oder selbst gelesen. Das Theaterstück „Drei Männer im Schnee“ wurde verfilmt und wird immer wieder in Theatern aufgeführt. Was dabei oft vergessen wird, ist, dass Erich Kästner zu den Autoren gehörte, deren Werke 1933 von den Nazis verbrannt wurden. Die Bücherverbrennung fand nicht nur in Berlin oder München statt, sondern an über 50 Orten in Deutschland. Auch in Regensburg auf dem Neupfarrplatz wurden unter dem Beifall der Zuschauer Bücher von Schriftsteller*innen verbrannt, weil ihre Bücher angeblich verantwortlich waren für „Dekadenz und moralischen Verfall“ in Deutschland.
Der am 24. Februar 1899 in Dresden geborene Kästner hat in diesem Jahr seinen 50. Todestag, sowie seinen 125. Geburtstag. Dies nehmen Pfarrerin Veronika Mavridis, Religionspädagogin Sandra Sesselmann und die Synodale der evangelischen Landeskirche Ruth Müller zum Anlass, einen Kulturgottesdienst zu veranstalten. Mit dem 9. November haben sie dafür ebenfalls ein historisches Datum gewählt – denn am 9. November jährt sich die Reichspogromnacht. Vor 86 Jahren brannten an diesem Tag in Deutschland Synagogen und jüdische Geschäfte, Wohnhäuser wurden zerstört.
Erich Kästner hatte schon früh vor dem Erstarken der Nationalsozialisten gewarnt – und später folgende Mahnung ausgesprochen: “Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. Das ist die Lehre, das ist das Fazit dessen, was uns 1933 widerfuhr. Das ist der Schluss, den wir aus unseren Erfahrungen ziehen müssen, und es ist der Schluss meiner Rede. Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben.”
„Als evangelische Kirchengemeinde wollen wir unserer Verantwortung gerecht werden, für die Demokratie, die Würde und die Freiheit der Menschen einzustehen und uns klar gegen rechtsextreme und antisemitische Tendenzen aussprechen“, so Pfarrerin Veronika Mavridis. „Auch in unserer Region geben die Wahlergebnisse beispielsweise bei der Europawahl oder der letzten Landtagswahl Anlass zur Sorge und deshalb wollen wir mit dieser Veranstaltung auch an unsere eigene Geschichte erinnern“, stellt Sandra Sesselmann fest.
Dafür haben die Verantwortlichen des Kirchenvorstands auch in den Archiven nachgeschaut und werden die Entwicklung der Wahlergebnisse von 1923 – 1933 in Schaubildern in der Kirche präsentieren. Damit auch klar wird, dass die Zustimmung zu den menschenfeindlichen, rassistischen und nationalistischen Parolen nicht nur in Berlin, Nürnberg oder München groß war, sondern eben auch in Rottenburg und Umgebung. „Wo die Grenzen des Sagbaren immer weiter verschoben werden, braucht es eine klare Haltung, um auch diejenigen zu bestärken, die den einfachen Parolen und den lauten Populisten mit ihren Fake-News nicht auf den Leim gehen“, so Ruth Müller, die als Mitglied der Landessynode auch eine Resolution gegen Rechtsextremismus mit verabschiedet hat.
Pfarrerin Veronika Mavridis, Sandra Sesselmann und Ruth Müller werden aus Werken von Erich Kästner lesen, historische Zahlen einordnen und Parallelen in die Gegenwart ziehen. Musikalisch umrahmt wird die Veranstaltung unter dem Motto „Man darf nicht warten“ von der bekannten Münchner Opernsängerin Franziska Rabl, die passende Lieder und Chansons an diesem kultur-theologisch-historischem Abend präsentieren wird. Die Rottenburger Buchhandlung wird an einem Büchertisch Werke von Erich Kästner präsentieren.
Beginn ist um 18 Uhr in der Dreieinigkeitskirche, der Eintritt ist frei.
(Text: Ruth Müller)