Predigt 30.10.22, 65 Jahre Dreieinigkeitskirche Rottenburg

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der das war und der da ist und der da kommt. Amen.

Lubomierski
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Liebe Gemeinde,
„Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte und die vierte verkommt.“
Dieses Zitat, das Otto von Bismarck in den Mund gelegt wird, verdeutlicht, zumindest eines: jede Generation hat eine je eigene Aufgabe. Gilt das auch für diese Gemeinde?
Die erste Generation baute diese Kirche. Bis zum Ende des zweiten Weltkriegs gab es in Rottenburg und Umgebung kaum evangelische Christinnen und Christen. Zwischen 25 und 75 Personen sollen es gewesen sein, zumeist Angestellte oder Beamte in den Rottenburger Behörden, im Amtsgericht oder im Landratsamt.
Nach Ende des zweiten Weltkriegs kamen Heimatvertriebene aus Schlesien, West- und Ostpreußen und Donauschwaben nach Niederbayern, darunter auch viele evangelische Gläubige. Die Anzahl der Evangelischen hier in Rottenburg stieg sprunghaft auf 2800 Gemeindeglieder.


Was waren das für Menschen, die nach Niederbayern kamen? Es waren Menschen, die fast alles verloren hatten: die Heimat, allen Besitz und oft auch geliebte Familienmitglieder. Arm und traumatisiert kamen sie ins katholische Niederbayern und waren hier Fremde. Die sprachlichen und kulturellen Unterschiede waren groß.
Die Bereitschaft, diese Fremden aufzunehmen, war nicht ganz so groß, so wurde mir zumindest von Landshut erzählt. Das lag natürlich auch daran, dass viele Menschen hier selbst sonderlich gut betucht war. Eine katholische Landshuterin erzählte mir, dass sie als Kind mit ihrer fünfköpfigen Familie in zwei Zimmern wohnten. Dann mussten sie eines davon an eine evangelische Familie abgeben. Da ist es schwierig mit einer Willkommenskultur. Wie war es hier in Rottenburg? Was mir bekannt ist: die evangelischen Gottesdienste wurden vor allem in der katholischen Filialkirche in Gisseltshausen feiert und auch die übrigen elf Predigtstationen, die es damals gab, waren überwiegend in katholischen Kirchen. Es gab also eine katholische Gastfreundschaft gegenüber den evangelischen Fremden – die ersten Ansätze für eine gute Ökumene.
Was bleibt, wenn alles Materielle verloren gegangen ist? Was den evangelischen Christinnen und Christen blieb, war ihr Glaube. Im Glauben, in den vertrauten Texten und Liedern blieb ein Stück Heimat erhalten. In der Friedenskirche in Neufahrn hängten die Vertriebenen ihre Haustürschlüssel aus Schlesien, die sie ja nicht mehr brauchen konnten, an den Taufstein. Das symbolisierte auf eindrucksvolle Weise: In der Taufe, in unserem Glauben sind wir jetzt zu Hause. Morgen werden wir Lutheraner überall in Deutschland singen: ein feste Burg ist unser Gott – Martin Luthers bekanntestes Glaubenslied. In diesem Lied kommt diese Erfahrung zum Ausdruck: der Glaube an Gott und Gott selbst beschützt uns wie ein Burg.


Der Glaube lässt sich allerdings besser bewahren, wenn er einen eigenen Ort hat. 1952 wurde der Bauantrag gestellt, im Juli 1957 erfolgte die Grundsteinlegung und sagenhafte fünf Monate später, wurde die Dreieinigkeitskirche vom damaligen Landesbischof Dr. Dietzfelbinger eingeweiht.
Wie ein Burg liegt die Dreieinigkeitskirche nun auf der Klitzinghöhe, mit hohen Mauern und wenig Fenstern. Die Bogenfenster sollen – so der Architekt Prof. Eichberg – Palmen mit Wurzeln symbolisieren. Sie sind aber auch kaum größer als Schießscharten. Nur noch oben, zum Himmel und zu Gott, war die Kirche offen. Deshalb schwangen auch die Glocken zunächst sichtbar von innen nach außen. In der Dreieinigkeitskirche war es damit sicherlich auch so kalt wie in einer mittelalterlichen Burg. Später wurden die Glocken und auch die Dachuntersicht mit Brettern verschalt – eine erste energetische Sanierung.
Die erste Generation dieser Gemeinde baute sich eine Burg. Sie brauchte eine Burg – nach Gräueltaten des Krieges und der Flucht brauchten die Menschen einen Ort, an dem sie sich sicher fühlen konnten. Diese Kirche ist ein Zeichen dafür, dass die Vertriebenen begannen, in Niederbayern sesshaft zu werden. Er ist ein Zeichen dafür, dass die Flüchtlinge hier in Niederbayern langsam eine Heimat fanden.  


Die zweite Generation füllte diese Burg mit Leben. In der Festschrift zum 50. Geburtstag des Dekanats Landshut aus dem Jahr 1999 wird aufgeführt, wie das Leben in den Neunziger Jahren in dieser Gemeinde brummte: Kinderabenteuertage, Kinder- und Jugendfreizeiten, eine Jugendgruppe aller Laabertalgemeinde, die auch Jugendgottesdienste vorbereitete, Taize-Adventsandachten, Seniorkreis, Sammlungen für die Diakonie und natürlich: die Musik: in der „Chorgemeinschaft der städtischen Musikschule“ unter der Leitung von Ilse Maria Reich sangen evangelische und katholische Mitglieder zusammen und brachten Werke von Bach und Haydn in der katholischen Kirche zur Aufführung – da die evangelische zu klein war.
Was ist nun die Aufgabe der dritten Generation – unserer Generation?
Spätestens mit Corona mussten wir feststellen, dass diese Kirche, diese Burg angreifbar ist. Allerdings machten diese Erfahrung Christen nicht erst mit Corona. Es ist nicht ganz klar, aus welchem Anlass Martin Luther das Lied ‚Ein feste Burg‘ schrieb: war es ein Kampflied gegen das osmanische Reich? Gegen die Altgläubigen? Oder war „ein feste Burg ist unser Gott“ ein Trostlied zur Zeit der Pest? Alles können sie mir nehmen, heißt es im Lied, alles lasse ich fahren dahin – nur der Glaube an Gott, der meine feste Burg ist, bleibt.


In der Corona-Zeit, der heutigen Pest-Zeit, musste auch diese Gemeinde erfahren, dass undenkbares auf einmal möglich und nötig war: erst einmal: keine Gottesdienste, dann Gottesdienste mit Abstand und dann Gottesdienste mit Wolldecke – da die Heizung aus hygienischen Gründen nicht heizen durfte.
In der Corona-Zeit machte diese Gemeinde aber auch die Erfahrung, dass ihr Gemeinde viel größer war als bekannt. Dass viel mehr Menschen sich nach dem Wort Gottes sehnten, als gedacht. Immer dann, wenn Pfarrerin Mavridis mit ehrenamtlicher Unterstützung in neue, andere Räume auswich: sei es im Advent 2020 an öffentliche Plätze in der Gemeinde für Adventsandachten oder mit ihren kurzen, ermutigenden Worten und Andachten in den digitalen Raum kamen viele, kamen hunderte Menschen zusammen.
Die Coronazeit hat uns allen – nicht nur hier in der Kirchengemeinde – gezeigt, dass Kirche sich verändern muss, wenn sie weiterhin Menschen erreichen will. Während Corona haben wir im gesamten Dekanat die Erfahrung gemacht, dass wir viele Menschen erreichen können mit unserer guten Botschaft, wenn wir nur an andere Orte gehen. Wenn wir nicht warten, dass die Menschen zu uns kommen, sondern wenn wir zu ihnen gehen. Zum Beispiel mit der Pop up Kirche in Landshut oder mit ökumenischen Gottesdienten to go in Landau.
Denn – wohl gemerkt – das Lied von Martin Luther heißt nicht: ein feste Burg ist unsere Kirche und schon gar nicht unsere Dreieinigkeitskirche. Sondern: ein feste Burg ist unser Gott.


Was ist also die Aufgabe der dritten Generation? Die dritte Generation muss die sichere Burg verlassen und den Glauben in die Welt hinaustragen.
Dafür muss die Burg nicht aufgeben werden, sie bleibt als Zufluchtsort bestehen – auch wenn es in diesem Winter wohl ein sehr kalter Zufluchtsort sein wird und eine Wolldecke vermutlich nicht ausreichen wird. Ich bin aber überzeugt, dass auch es auch die Generationen vor uns freuen würde zu hören, dass der christliche Glaube laut und selbstbewusst im öffentlichen und digitalen Raum von aus Rottenburg in die über 70 Ortschaften, die zu dieser Kirchengemeinde gehören, und weltweit verkündigt wird.
Oder um es mit Bismarck in abgewandelter Form zu sagen:
Die erste Generation hat eine Burg gebaut, um in ihr in Sicherheit ihren Glauben bewahren zu können.
Die zweite Generation hat die Burg mit Leben erfüllt und den Glauben weitergegeben.
Die dritte Generation muss die sichere Burg verlassen und den Glauben in die Welt hinaustragen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in JX unserem Herrn.

Dr. Nina Lubomierski