Predigt 31.10.22, Reformationstag

Lubomierski
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Liebe Festgemeinde,
 „Denn es gehet dem Menschen wie dem Vieh; wie dies stirbt, so stirbt er auch“ – diese Worte wählte Johannes Brahms aus dem Buch Prediger im Alten Testament für den ersten seiner vier ernsten Gesänge – wir haben sie eben gehört. Am 7. Mai 1896 zeigte er einem Freund seine Komposition und bemerkte: „Das habe ich mir heute zum Geburtstag geschenkt.“
Johannes Brahms hatte vier schwere Jahren hinter sich, in denen er enge Freunde verloren hatte. Seine gute Freundin Clara Schumann hatte im März 1896 einen Schlaganfall erlitten und Brahms spürte wohl, dass ihr Tod nahe war. Vielleicht hatte er auch Vorahnungen seines eigenen Endes, das ihn innerhalb eines Jahres selbst ereilen sollte. Am 3. April 1897, also vor 125 Jahren, starb Johannes Brahms in Wien.


„Denn es gehet dem Menschen wie dem Vieh; wie dies stirbt, so stirbt er auch“ –schonungslos sind diese Worte aus der Bibel. Brahms selbst schreibt über die vier ernsten Gesänge an seinen Verleger: „„sie sind verflucht ernsthaft und dabei so gottlos, dass die Polizei sie verbieten könnte – wenn die Worte nicht alle in der Bibel ständen.“ Die Worte aus dem Buch Prediger hat Brahms selbst ausgewählt. Täglich las er in der Bibel, was auch vor 125 Jahren etwas erwähnenswert war, und Brahms hatte immer ein Neues Testament in seinem Gehrock- so wurde über ihn berichtet.


Das Buch Prediger beschäftigt sich mit der Frage, ob der Mensch in dieser Welt glücklich sein kann. Es sowohl von jüdischer Theologie als auch von griechischer Philosophie beeinflusst und damit besonders anschlussfähig für einen aufgeklärten Christen wie Johannes Brahms – und vielleicht auch für uns aufgeklärte Christinnen und Christen heute. Wie können wir Menschen glücklich sein, wenn jede Minute unseres Lebens vergänglich ist? Wenn alle und alles, was wir lieben, vergänglich ist?
Die Antwort des Predigers ist: Carpe diem! Oder mit seinen eigenen Worten: „Ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinen Mühen – das ist eine Gabe Gottes“.  Oder wie es im ersten ernsten Gesang heißt: „So sah ich denn, dass nichts Besseres ist, als dass ein Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit.“ Johannes Brahms hat so gelebt: er liebte die Musik und das Musizieren und starb – nachdem er ein Glas Rheinwein getrunken hatte - mit den Worten: ‚Ach, das schmeckt schön!‘
Johannes Brahms gibt aber noch eine weitere Antwort, auf die Frage, was ein Leben gelingen lässt. Sie findet sich im vierten der ernsten Gesänge und stammt ebenfalls aus der Bibel – aus dem 1. Korintherbrief im Neuen Testament.


„Nun aber [bleibt] Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die [größte] unter ihnen.“
Im griechischen Originaltext steht für Liebe hier nicht der Eros, die erotische Liebe. Sondern Agape, das ist die tätige Liebe, die Nächstenliebe. Viele Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die für andere Menschen da sind, sind glücklicher sind.


Es ist umstritten, ob wie Brahms es mit der erotischen Liebe hielt. Aber es ist nachweislich bekannt, dass er auf die sechs Kinder der Schumanns aufpasst, als Robert Schumanns in einer psychiatrischen Klinik war und Clara – um den Lebensunterhalt zu verdienen – auf Konzertreise.
Auf sechs Kinder aufpassen – das ist wahrlich tätig Liebe, das ist Agape. Brahms war darüber hinaus auch dafür bekannt, dass er sein Geld großzügig an Bedürftige weiter gab: an seinen Vater, an Clara Schumann oder Antonin Dvorák, der aus noch ärmlicheren Verhältnissen stammte. „Sehen Sie, Dvořák, Sie haben viele Kinder und ich habe fast niemanden mehr. Wenn Sie etwas brauchen, mein Vermögen steht Ihnen zur Verfügung“, soll Brahms zu seinem jüngeren Kollegen Dvorak gesagt haben. Aber er war nicht nur in materieller Hinsicht großzügig, sondern auch mit seinem Lob für den jüngeren Kollegen: »Der Kerl hat mehr Ideen als wir alle. Aus seinen Abfällen könnte sich jeder andere die Hauptthemen zusammenklauben.« Und Brahms vermittelte Dvorak an seinen eigenen Verleger. Für Dvořák bedeutete die Förderung durch eine so hochkarätige Autorität und die Aufnahme in einen international tätigen Verlag freilich „das Tor zur Welt“: Bereits wenige Jahre später war sein Name in ganz Europa bekannt. Er ist es bis heute geblieben – sechs seiner Biblische Psalmlieder 1aus Op. 99 werden wir gleich hören, gesungen in der tschechischen Originalsprache
Es ist also auch für den Komponisten Johannes Brahms wahr, was in im Neuen Testament steht:
Wenn ich mit Menschen - und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.
Nun aber [bleibt] Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die [größte] unter ihnen.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in JX …

Dr. Nina Lubomierski